„Da reißt es unsere Blicke mit Gewalt zum Hochvogel: Ein starker Steinschlag hatte eingesetzt, gellend krachten kleinere Felsbrocken die Wand herunter und plötzlich – wir halten unwillkürlich den Atem an – neigen sich die riesigen gelben Platten von der Ausdehnung eines Einfamilienhauses von der Wand“.
Am 30. Juni 1935 beobachteten Bergsteiger vom Großen Wilden aus einen gewaltigen Felssturz. Obwohl kleinere Felsstürze an diesem Berg nichts Ungewöhnliches sind, blieb es letztendlich in den folgenden Jahrzehnten ruhig. Zumindest bis 2015, denn da erlangte eine Hiobsbotschaft die Bergsteigerszene: Die breite Spalte, die den Gipfel durchzog, kannten alle Begeher. Unübersehbar klaffte sie nur wenige Schritte vom Kreuz entfernt. Wer durch die Ostwand aufgestiegen war, musste gar durch sie hindurch laufen, so breit war sie. Geologen bestätigten dann das Gefühl, das treue Besucher schon länger hatten: Die Spalte wird breiter. Der darunterliegende „Bäumenheimer Weg“, der drahtseilversichert durch die Ostwand dieses gewaltigen Berges führte, ist akut betroffen von diesem drohenden Felssturz. Wann es passieren wird? Vielleicht morgen? Eine Begehung des Bäumenheimer Weges ist heute lebensgefährlich, deshalb führt der „Grenzgänger“ über den Fuchsensattel und durch den Kalten Winkel.
Seiner Beliebtheit tut der drohende Felssturz jedoch keinen Abbruch, denn die Geologen bestätigten, dass der Normalweg über den Kalten Winkel nicht betroffen ist. Gott sei Dank, denn wer diese perfekte Pyramide einmal erspäht hat, den lässt sie nicht mehr los. Freistehend, formschön und hoch – ein Traum eines Bergsteigers. Mit seinen knapp 2600 Metern überragt er seine Trabanten deutlich. Eine Aussicht zum Niederknien ist so nahezu garantiert, denn bei guten Verhältnissen reicht der Blick locker bis zum Ortler. Und Dank der nahegelegenen Hütte ist es vom Bett aus auch gar nicht mehr weit bis zum Gipfel.
Auch wenn es eine Handvoll Touren durch die Wände des Hochvogels gibt, ist der Normalweg über den Kalten Winkel mit Abstand der beliebteste. Zwar erfordert der Weg Trittsicherheit und eine gewisse Portion Schwindelfreiheit, die Aussicht von diesem „perfekten Berg“ belohnt aber für alle Mühen. Die Verhältnisse am Kalten Winkel sollten jedoch dringend beim Hüttenwirt vorher erfragt werden, denn sollte der Schnee vereist sein, sind Steigeisen und Pickel für die Begehung erforderlich. In warmen Sommern schmilzt jedoch auch das einst „ewige Schneefeld“ völlig dahin und ermöglicht eine Begehung trockenen Fußes. Link zu „Selbstversuch“
Der Erstbegeher
Ein Hirtenjunge war vermutlich der erste, der am Hochvogel stand. Das Jahr 1767 ist für diese Erstbesteigung überliefert. Leo Dorn, der Leibjäger von Prinzregent Luitpold von Bayern, seinerseits Erstbegeher der Höfats, wagte 1883 die erste Winterbegehung. Unter Berücksichtigung der damaligen Gegebenheiten eine wahre Pionierstat, denn er kletterte ohne Eispickel, ohne besonders warme Kleidung, ohne vorhandene nennenswerte Infrastruktur und überhaupt ohne viel Erfahrung im Winterbergsteigen – denn die Disziplin wurde damals noch kaum praktiziert.
Viele Infos über die geologischen Untersuchungen am Hochvogel und darüber, wie man sich in Hinterhornbach auf den drohenden Felssturz vorbereitet, findet ihr auch in einem Beitrag des Bayerischen Fernsehens.